Muskelaufbau durch Superkompensation
Ehrgeiz, Leistungswille, Disziplin und Zielstrebigkeit sind Attribute die einen erfolgreichen Sportler ausmachen. Sie sind es, die für fortwährende Motivation und den notwendigen Biss sorgen, sich neben allen sonstigen Anforderungen des Alltags auch noch sportlichen Zielen zu widmen.
Was sich auf den ersten Blick wunderbar liest kann Sportlerinnen und Sportlern leider auch zum Verhängnis werden und zwar dann, wenn zu hohen Anforderungen zu wenig Ressourcen oder zu wenig Regeneration gegenüberstehen, getreu dem Motto „Viel hilft viel“. Im Gegenzug gibt aber auch die halbherzigen Sportlerinnen und Sportler mit Ihren 2 Trainingseinheiten pro Woche für die gerade das Thema Regeneration ein riesen Thema ist und für welche die Übertrainingsthematik ein wahres Dogma darstellt, getreu dem Motto: „Weniger ist mehr“.
Letztlich ist es der Mittelweg aus beiden genannten Vorgehensweisen der aller Wahrscheinlichkeit nach die Effektivität eines Trainingssystems optimieren wird. Ein Versuch diesen Mittelweg zu gehen ist das Modell der Superkompensation um welches es im heutigen Artikel gehen soll.
Das Modell der Superkompensation
Bereits 1977 wies der russische Wissenschaftler Nikolai Jakowlew an Versuchstieren nach, dass sowohl muskuläre als auch hepatische (Leber) Glykogenspeicher sich nach einer intensiven körperlichen Belastung vergrößern, sofern die auf die Belastung folgende Regenerationsphase ausreichend lange gestaltet wird. Diese Erkenntnis ist inzwischen längst auch am Menschen belegt und wird als „Glykogen“-Superkompensation in unzähligen Sportarten vor einem Wettkampf angewandt, um für eine maximierte Verfügbarkeit an Glykogen für die anaerobe Energiebereitstellung zu sorgen.
Was einst nur für Energiespeicher galt, wurde im Verlauf der Jahre auf den gesamten Trainingsprozess umgemünzt. Es wurde auf diese Art und Weise versucht, Zusammenhänge zwischen Trainingsreiz und Regeneration herzustellen und den Adaptionsprozess zu veranschaulichen, wie er im Rahmen sportlichen Trainings ablaufen kann. Adaptionen sind die Art von Anpassungen die in unserem Körper für eine Steigerung der Leistungsfähigkeit sorgen und zwar unabhängig von der Art der Sportart.
Folgende Darstellung veranschaulicht das Modell der Superkompensation unserer Meinung nach am besten:
1. Trainingsreiz setzen
Die erste Komponente die notwendig ist um Adaptionen hervorzurufen ist der Trainingsreiz. Ziel und Resultat eines Trainingsreizes ist eine eintretende Ermüdung. Im Kraftsport assoziieren wir Ermüdung mit der Erzeugung eines Muskeltraumas. Die Intensität des Trainingsreizes entscheidet über seine Effektivität in Sachen Adaption. Während zu wenig Intensität zu wenig adaptive Signale aussendet um eine nennenswerte Anpassung über den Ausgangslevel hinaus in Gang zu setzen, sorgt eine zu hohe Intensität für einen übertrieben hohen Bedarf an Regeneration der sich ebenfalls kontraproduktiv auf die Adaption als Solches auswirkt.
Fazit
Nur der richtig gesetzte Trainingsreiz kann im Rahmen des Superkompensationsmodells für eine dauerhafte Erhöhung der Leistungsfähigkeit über den Ausgangslevel hinaus sorgen:
"Dont train too hard but also not too soft"
Praxis-Tipp
Muskelziehen oder ein leichter Muskelkater am nächsten Morgen, spätestens aber zwei Tage nach dem Training gelten durchaus als gute Indikatoren für einen optimal gesetzten Trainingsreiz
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2. Regeneration und Superkompensation
In der zweiten Phase des Superkompensationsmodells dreht sich alles um die auf den Trainingsreiz folgende Regeneration. Hat der Trainingsreiz genug Adaptionsvorgänge in Gang gesetzt und gibt man dem Regenerationsprozess ausreichend Zeit bevor man einen neuen Trainingsreizreiz setzt, kommt es jetzt zu einer Erweiterung der Energiereserven, einem erhöhten Aufkommen an Mitochondrien (den Kraftwerken unserer Zellen), einer verbesserten Kapillarisierung der Muskulatur und in diesem Zusammenhang zu einem besseren Nähr- und Sauerstofftransport sowie einem effektiveren Abtransport von Stoffwechselendprodukten oder aber der Verstärkung von Komponenten des passiven Bewegungssystems über den Ausgangslevel hinaus. (natürlich immer in Abhängigkeit von der jeweiligen Sportart)
Wie es bei der Trainingsintensität ein zu viel und ein zu wenig gibt, kann man sich in Sachen Regeneration entweder zu viel Zeit geben, oder zu wenig Zeit einräumen um die notwendigen Prozesse der Regeneration zu verrichten. Im erst genannten Fall fällt der erhöhte Leistungsstatus einem zu lange ausbleibenden erneuten Trainingsreiz zum Opfer und fällt wieder ab bis der Ausgangslevel erreicht ist (Abbildung „too late“). Im zweitgenannten Fall unterbrechen wir durch einen verfrühten neuen Trainingsreiz die Regeneration und schenken hier Adaptionspotenzial her (Abbildung „too early“).
Fazit
Nur die richtig gewählte Zeit zur Regeneration kann im Rahmen des Superkompensationsmodells für eine dauerhafte Erhöhung der Leistungsfähigkeit über den Ausgangslevel hinaus sorgen. „Dont train too early but also not too late“
Praxis-Tipp
Ein großer Kritikpunkt des Superkompensationsmodells ist genau dieser Knackpunkt des optimalen Zeitpunktes für ein erneutes Training. Hinsichtlich regenerativer Maßnahmen und der optimalen Trainingshäufigkeit zeigen aktuelle Studien zumindest in Sachen Krafttraining und Hypertrophietraining maximale Erfolge wenn eine Muskelgruppe 2 Trainingsreizen pro Woche ausgesetzt ist. Der zeitliche Abstand zwischen den Trainingsreizen sollte mindestens 48 Stunden betragen!
Kritik und Bewertung des Superkompensationsmodells
Praktikabilität der Vorgaben
Die Theorie hinter dem Superkompensationsmodell ist zumindest innerhalb eines einzelnen Trainings- und Regenerationszyklus sicher durchdacht und einleuchtend:
- Trainiere hart aber nicht zu hart
- Lasse Deinem Körper ausreichend Zeit um sich vom Training zu erholen, gönne ihm aber nicht zu viel Pause
Was an dieser Stelle jedem Anfänger und mit Sicherheit auch vielen Fortgeschrittenen fehlt sind konkrete Angaben wie:
- Wann habe ich denn zu wenig und/oder zu viel trainiert?
- Wie viel Zeit ist notwendig für die Regeneration?
- Wann ist der beste Zeitpunkt für ein neues Training?
Wir wagen zu behaupten, dass jeder einzelne Versuch das System der Superkompensation durch pauschale Angaben um diese Komponenten zu erweitern scheitern wird, denn viel zu individuell ist jeder von uns und viel zu individuell gestalten sich auch die Rahmenbedingungen. Man müsste Faktoren wie Alter, Geschlecht, Stresslevel und Ernährung mit ins Kalkül ziehen um eine vernünftige Aussage treffen zu können.
Fazit
Das bestehende Superkompensationsmodell sagt eigentlich nicht wirklich viel aus und liefert alles andere als praxistaugliche konkrete Vorgaben. Letztlich wird man auf der Basis des groben Aufbaus dieses Modell selbst an sich arbeiten oder sich in die Hände eines Coaches begeben müssen um in Einklang mit allen Individualitäten für die die Beantwortung der oben genannten Fragen zu sorgen
Open End
Glaubt man der Aussage aus Darstellung 2 müsste man theoretisch dazu in der Lage sein, mit optimal gesetzten Reizen und der perfekten Regenerationszeit seine Leistungsfähigkeit bis ins unendliche zu steigern. Leider sind uns allen irgendwann genetische Grenzen vorgegeben die dieses Modell so nicht berücksichtigt.
Alles hat ein Ende -- Auch die Möglichkeit zur Superkompensation
Zusammenfassung Muskelaufbau und Superkompensation im Bodybuilding
All die Studien, Recherchen und erbrachten Thesen rund um das Superkompensationsmodell lassen sich letztlich in zwei kleinen Sätzen wie oben bereits genannt zusammenfassen. Sicher machen viele von uns gerade hier Fehler und sollte die Kernaussage des Modells dringend beherzigen, vielen wenden das Superkompensationsmodell aber auch instinktiv oder dank des notwendigen generellen Backgrounds in Sachen Trainingslehre bereits auf richtige Art und Weise an ohne es vielleicht zu wissen. Letztlich bedarf es eines gewissen Maßes an Arbeit mit sich selbst um aus dem groben Konzept der Superkompensation die richtige individuelle Vorgehensweise in Sachen Trainingsgestaltung zu gestalten. Hierzu rufen wir alle Sportlerinnen und Sportler abschließend auf!
Quellen:W.-U. Boeckh-Behrens, W. Buskies, Fitness-Krafttraining, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2006
Jürgen Weineck, Optimales Training. Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings, 16. Aufl., Spitta Verlag, Balingen 2009